Alevitische Gemeinde Kassel und Umgebung e.V.

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Der Glaube der Aleviten

e-Posta Yazdır

Das Alevitentum ist eine eigenständige, synkretistische Religion, die sich aus der islamischen Schia entwickelt hat und zudem sehr viele Elemente aus den verschiedensten vorislamischen Religionen Mesopotamiens und aus dem Sufismus (islamische Mystik) in sich vereint.

Unter den meisten Türken gilt die Religionsgruppe als islamische Glaubensrichtung und ist deshalb unter den 99,8% Muslimen der Bevölkerung der Türkei vetreten. Sie gehen allerdings mit religiösen Vorschriften, die viele Muslime für verbindlich halten, liberal um; für Aleviten haben die sogenannten fünf Säulen des Islams keinen hohen Stellenwert, sie verrichten nicht das Ritualgebet (Salat), und brauchen zum Beten keinen besonderen Raum und keine spezielle Zeit.

Der Koran ist für Aleviten, im Gegensatz zum Schari'a-Islam, kein Gesetzbuch, sondern die Niederschrift von Offenbarungen, die kritisch gelesen werden dürfen (siehe dazu: Buyruk). Sie sehen in ihm kein verbal inspiriertes Buch, sondern interpretieren ihn mystisch. Sie lehnen auch die Schari'a, das islamische Gesetz, ab. Die Philosophie des Alevitentums besagt, dass jedem Menschen die Wahrheit (das Göttliche) innewohnt.

Der heutige Glaube der Aleviten ist stark vom Humanismus und Universalismus bestimmt. Im Zentrum ihres Glaubens steht daher der Mensch als eigenverantwortliches Wesen. Wichtig ist ihnen das Verhältnis zum Mitmenschen. Die Frage nach dem Tod und den Jenseitsvorstellungen ist demgegenüber für sie nebensächlich. In der alevitischen Lehre ist die Seele eines jeden Menschen unsterblich, sie strebt durch die Erleuchtung die Vollkommenheit mit Gott an.

Das Alevitentum wurde stark durch den Philosophen und Reformator HÜNKAR BEKTAS VELI geprägt, der zwischen 1210 und 1271 gelebt hat. Großen Einfluss hatten auch die Volksdichter YUNUS EMRE (1241-1319), NESIMI (1339-1418), PIR SULTAN ABDAL und viele mehr.

Auch im Alevitentum gibt es bestimmte Regeln, wie die Lehre von den VIER TORWEGEN und die Trinität des

"BEHERRSCHE DEINE HÄNDE, DEINE ZUNGE UND DEINE LENDEN "

Diese liberalen Auffassungen, vor allem die Ablehnung der Schari'a, unterscheidet Aleviten von anderen Muslimen.

Obwohl der Ursprung des alevitischen Glaubens in die Frühzeit des Islams zurückgeht, unterscheidet er sich doch gravierend von der Lehre des sunnitischen Islams in der Türkei und des schiitischen Islams im Iran.

  • Im Alevitentum ist die Frau sowohl in der Lehre als auch im religiösen Verhalten wie z. B. im Cem-Gebet dem Mann völlig gleichgestellt. Das Alevitentum kennt keine Geschlechtertrennung.
  • In der alevitischen Lehre ist die Polygamie verboten und unbekannt.
  • Menschen anderen Glaubens und andere Glaubensgemeinschaften werden respektiert und als Geschwister betrachtet, was im folgenden Spruch zum Ausdruck kommt: „Behandele 72 Volksgruppen gleich“.
  • Die höchste Strafe in der alevitischen Lehre ist, anders als in der sunnitischen Lehre, die die Todesstrafe für einen Straftäter vorsieht, der Ausstoß des Betroffenen aus der Gemeinde. Deshalb wird unter Aleviten auch die Blutrache nicht gefördert, ja sogar verachtet.
  • Das Handeln der alevitischen Geistlichen (Dede) beschränkt sich auf das geistige Leben der Gemeindemitglieder. Das Alevitentum kennt kein göttlich offenbartes Scharia- Gesetz. Das Ethos der Aleviten beruht auf Reinheit der Zunge, Reinheit der Hand und Reinheit der Lende. Das Ziel des alevitischen Ethos ist die Annäherung an Gott.
  • Die alevitische Gemeinde ist nach der Bindung an einem bestimmten Geistlichen (Dede bzw. Pir), die aus verschiedenen Geistlichenhäuser (Ocak) stammen, deutlich und klar organisiert.
  • Die Aleviten bekennen sich eindeutig zum laizistisch- demokratischen Staat.
  • Die Aleviten beten individuell abends und am Donnerstagabend in der Gemeinde, der  Cemversammlung. Sie gehen nicht in die Moschee, sie haben in der Regel eine eigene Kultstätte (Cemevi). Der Kult der Aleviten ist durch gegenseitige Versöhnung, Musik und Tanz beider Geschlechter ausgezeichnet.
  • Die Aleviten fasten nicht im Monat Ramadan, sondern 12 Tage im Monat Muharrem.
  • Die Aleviten pilgern nicht nach Mekka.
  • Die Aleviten missionieren nicht.

Die alevitische Lehre gibt einzelnen Individuen eine absolute Gewissens- und Glaubensfreiheit mit dem Spruch „Jeder ist für sich verantwortlich“. Alevitinnen und Aleviten sind frei, ihren Glauben eigenständig zu bestimmen. Es gibt kaum einen Zwang der Gemeinde oder der Mitmenschen auf den einzelnen.