Am 22. Dezember jeden Jahres jährt sich das Massaker von Maras, bei dem über 1000 Aleviten systematisch getötet wurden .Dies war nicht das erste und das letzte Massaker an unserem Volk. Bereits zuvor hat es zahlreiche Pogrome in der Türkei an Minderheiten (Aleviten, Kurden, Armenier, Yezidi, Araber..) gegeben. Diese Kette reicht vom Osmanischem Reich bis in unsere Zeit. Allein im Osmanischem Reich wurden im Mittelalter zwischen 40 .000 und 60. 000 Aleviten, durch den Tyrannen Yavuz Sultan Selim , in wenigen Tagen ermordet.
Leider war insbesondere das Massaker vom 22. Dezember 1978 in Maras ein erneuter Beweis dafür, dass es in der heutigen Türkei weiterhin Menschen wegen ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit durch die fundamentalistischen und rechtsradikalen Kreise verfolgt werden. Der Staat spielt hierbei auch eine grosse Rolle, da er solche Taten absichtlich nicht verhindert, um von den wirtschaftlichen und politischen Problemen abzulenken. Diese bewusste Ignoranz des Staates gegenüber den Aleviten haben wir auch in der jüngsten Zeit gesehen, als die Fundamentalisten vor den Augen der Polizei und Armee ein Hotel in SIVAS (Türkei) angezündet haben und dabei 37 Menschen ums leben kamen. Auch bei den Unruhen in ISTANBUL / GAZI (März 1995) wurden die meisten Menschen durch die Polizei mit gezielten Schüssen bei den Protestdemonstrationen regelrecht hingerichtet.
Unter dem Vorwand der Rechts-Links Auseinandersetzungen schlug die Welle des rassistischen Chauvinismus mit voller Wucht gegen die in Maras bis dahin stets neutrale und um friedliche Koexistenz bemühte Alevitische Bevölkerungsgruppe. Die Tatsache, daß gerade in Maras die Aleviten Opfer eines Pogroms wurden, weist vielleicht auf den wahren Hintergrund dieser Aktionen hin. Denn die langsam aufstrebende Alevitische Bevölkerung in dieser Stadt, welche begann nach ihren Rechte zu fragen, sollte einen Denkzettel erhalten. Mit der Tarnung des Pogroms als "Aktion gegen Linke" konnte man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und in einem Atemzug auch die ungeliebten demokratische Kräfte in "ihre Schranken verweisen".
Alles begann am 19. Dezember 1978 als in einem Maras'er Kino der Film " Wann ist Sonnenaufgang ? " gezeigt wurde, der PrO-nationalistische Gedankengut in sich trug. Auf das Kino wurde ein Bombenanschlag ausgeübt, der sofort den "Aleviten " in die Schuhe geschoben wurde, ohne dass es auch nur einen Anhalt hierfür gab. Noch bevor entsprechende polizeiliche Untersuchungen beginnen konnten, nahmen die traurigen Ereignisse ihren verheerenden Verlauf an. Später trat der wahre Bombenattentäter zutage,der ein rechtsradikaler Parteifunktionär war. Seine " Bombe " hatte so eine geringe Sprengkraft, dass niemand zu Schaden gekommen ist.
Die aufgepeitschte Stimmung in Maras erreichte seinen ersten Höhepunkt, als am 22.Dezember 1978 zwei als "Demokraten" bekannten Lehrern das letzte Geleit gegeben werden sollte. Der Leichnam wurde nicht in das Gotteshaus gelassen und die Freunde der Toten wurden von Rechtsradikalen angegriffen. Die bis in die Nacht andauernden Auseinandersetzungen hatten 2 Todesopfer und 50 Verletzte zu Folge. Als noch in dieser Nacht einige Mullahs die Aleviten als " Ursprung dieser heidnischen Gewaltaktionen " ausfindig machten, riefen sie zum " Heiligen Krieg " gegen die Aleviten auf. Darauf wurden die Alevitschen Stadtviertel Haus für Haus durchsucht, die Alevitischen Bewohner wurden aus den Häusern herausgezerrt und förmlich mit Äxten, Messern, Schusswaffen, ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder und ältere Personen massakriert. Die Tatsache, dass die Häuser Tage zuvor penibel markiert worden sind, verwirft eindeutig den Eindruck eines " unkontrollierten Volkswahns ".
Die 3 Tage und Nächte dauernden Aktionen wurden bewiesenermassen von langer Hand systematisch vorbereitet.
Das Fazit dieses Pogroms nach " offiziellen Angaben " zwischen dem 22. und 25. Dezember 1978 war, dass es 111 Tote auf Alevitscher Seite gab. Augenzeugen zufolge lag diese Zahl deutlich höher (etwa 1000).
Inwieweit das " zögerliche Verhalten " einiger Teile der lokalen Ordnungskräfte zur Eskalation beigetragen hatte, konnte nie geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass ohne die Aleviten unter den Polizeikräften und der Armee, die Zahl der Toten noch höher gewesen wäre. Aus den Fehlern haben sie gelernt. Denn die Anzahl der Aleviten in den Sicherheitskräften ist stark zurückgegangen. Weiterhin erwiesen sich die Gerichtsverhandlungen gegen die Rädelsführer als Fiasko. Einer der Hauptangeklagten sitzt heute noch als Abgeordneter einer rechtsradikalen Partei im türkischen Parlament. Während diese Personen sich vom Staatsapparat das Essen auf Silbertabletts liefern lassen, bleiben uns die zahlreichen Opfer und deren Hinterbliebenen.
Dennoch sind die Aleviten, die ca 20-25% der türkischen Bürger ausmachen, weitab von revanchistischen Gedanken. Wir sind und werden weiterhin dazu bereit sein, mit unseren sunnitischen Mitbürgern, die zum überwiegenden Teil dieses Massaker verabscheuten, in Frieden zusammenzuleben. Aber keiner darf von uns erwarten , dass wir Maras und viele andere Pogrome an unseren Volk zu vergessen. Wir müssen alle immer wieder daran erinnert werden , damit solche Gewalttaten nie wieder passieren.
Mit Trauer um diese Menschen im Herzen sollten wir in die Zukunft blicken und unsere Lehren daraus ziehen, damit wir nicht erneut zu Opfern werden, denn als Opfer wird man nicht geboren, man lässt sich dazu machen.