HNA: Nach dem Fasten gibt es Süßes

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Quelle: http://www.hna.de/nachrichten/kreis-kassel/ahnatal/nach-fasten-gibt-suesses-1533309.html

Nach dem Fasten gibt es Süßes

Vellmar. Auf diesen Moment haben sich Nehir, Ozan und Simge schon lange gefreut. Erwartungsfroh stehen die drei Grundschüler vor dem riesigen Kochtopf in der Küche der Grundschule Niedervellmar. Mit den mit Sultaninen, Nüssen und Apfelstückchen gefüllten Schüsseln in den Händen warten sie gebannt auf das Kommando ihrer Lehrerin. „Jetzt dürft ihr die Zutaten vorsichtig in den Kochtopf geben“, sagt Gülten Erenulug.

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Gemeinsames Kochen: Gülten Erenulug und die Kinder der Religionsklasse freuen sich auf die Zubereitung der Süßspeise. Foto: Sommerlade

Zwölf Kinder

Die Grundschüler sind Teilnehmer des alevitischen Religionsunterrichts, der seit Schuljahresbeginn einmal wöchentlich an der Grundschule Niedervellmar stattfindet. Bei der jüngsten Unterrichtseinheit feierte die aus zwölf Kindern bestehende Gruppe den Asure-Tag. Dazu gehörte das Kochen der gleichnamigen Süßspeise.

„Asure ist eine aus zwölf verschiedenen Zutaten bestehende Süßspeise“, erklärt die Pädagogin. „Die Zutaten können variieren, aber es müssen insgesamt zwölf an der Zahl sein. Diese symbolisieren die zwölf Imame.“ Verwendet würden in der Regel Weizen, Bohnen, Saubohnen, Kichererbsen, Kastanien, Haselnüsse, Pistazien, Mandeln, Sultaninen, Feigen, Aprikosen und Walnüsse.

Dem Zubereiten der Süßspeise war ein zwölftägiges Trauerfasten vorausgegangen, das sogenannte Muharrem-Fasten. „Dabei handelt es sich um eine Trauerzeit, während derer die Aleviten der grausamen Geschehnisse in der Stadt Kerbela 680 nach Christus gedenken, bei denen auch der Imam Hüseyin, eine zentrale Figur innerhalb der alevitischen Glaubenslehre, ums Leben kam“, erläutert Erenulug.

Das Verteilen der Asure wird als Symbol gesehen. „Wir bringen damit die Dankbarkeit zum Ausdruck, dass Zeynel Abidin, der Sohn von Imam Hüseyin, aufgrund seiner Krankheit das Massaker von Kerbela überlebt hat.“

In der Grundschule Niedervellmar unterrichtet Gülten Erenulug in deutscher Sprache zwölf Grundschüler aus dem gesamten Kreis Kassel. Einmal wöchentlich kommen sie am Nachmittag von unterschiedlichen Schulen zusammen. Zwei Stunden Unterricht stehen dann auf dem Programm. Erenulug, selbst Alevitin, ist eigentlich Lehrerin für Deutsch und PoWi an der Marie-Durand-Schule in Bad Karlshafen. „Alevitische Lehrer sind Mangelware“, sagt sie. „Der Unterricht macht aber großen Spaß.“ Die Stunden seien wichtig für die Identitätsfindung der Kinder. Die Jungen und Mädchen lernten mehr über ihre religiösen Wurzeln, unter anderem über Rituale wie das Asure-Kochen, spezielle Festtage, Geistliche und Heilige, über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur und den respektvollen Umgang miteinander. „Das hilft bei der Integration.“

Respekt und Harmonie

Respekt und Harmonie geben die Richtung vor. So bilden die Kinder einen Stuhlkreis und müssen in einer Versöhnungsphase zunächst zwischenmenschliche Streitigkeiten beilegen. „Das Einvernehmen aller Schüler muss vorhanden sein. Spricht ein Schüler sein Einvernehmen nicht aus, so muss dies erst geklärt werden.“ Dies könne eine Streitigkeit mit anderen oder eine Unzufriedenheit sein. „Ich habe diese Situation bisher aber nicht erlebt. Die Kinder sind viel mehr mit Eifer und voller Spaß bei der Sache.“

Das bestätigte auch Grundschülerin Dilara: „Der Unterricht macht Spaß, und wir lernen viel. Und dass wir Asure kochen dürfen, finde ich besonders gut.“

Von Martina Sommerlade